Was brachte Lissabon?
Zum 01.12.2009 ist der Vertrag von Lissabon nach zähem Ringen und langwierigen Ratifikationsverfahren in Kraft getreten.
Im Folgenden werden die wichtigsten Änderungen dargestellt und auch hervorgehoben, welche ursprünglich in der Verfassung vorgesehenen Regelungen (noch) nicht eingeführt wurden.
Beschlossene Änderungen:
- Die Einrichtung eines festen EU-Rats-Präsidenten für je 2 ½ Jahre: Ziel ist es, mehr Kontinuität in den Rat zu bringen, um so effektiver arbeiten zu können.
- Die Einführung der so genannten „doppelten Mehrheit“ für die Entscheidungsfindung im Ministerrat: Sie soll zu besserer Ausgewogenheit der Stimmen führen und sicherstellen, dass jede Entscheidung von ausreichend EU-Bürgern, deren Regierungen zugestimmt haben, getragen wird. Doppelte Mehrheit meint dabei, dass eine Entscheidung nur dann angenommen ist, wenn 55 Prozent der Mitgliedstaaten zugestimmt haben -das sind zur Zeit 16 von 28- und diese zusammen mindestens 65 Prozent der EU-Bevölkerung stellen. Nur die Zustimmung der 16 kleinsten Staaten würde somit nicht ausreichen. Sie könnten gegen den Willen der größten 12 keine Entscheidung durchsetzen. Jedoch treten diese neuen Regeln, insbesondere nach Interventionen Polens, erst 2017 endgültig in Kraft. Bis dahin gilt das Abstimmungssystem nach dem Vertrag von Nizza weiter, welches insbesondere Polen und Spanien unverhältnismäßig günstig stellt.
- Verkleinerung der Kommission von zur Zeit 28 auf im Jahre 2014 nur noch 15 Mitglieder: Auch dies sollte die Entscheidungsfindung straffen, Arbeitsprozesse effektiver machen und auch die Initiierung neuer Rechtsakte erleichtern. Diese Entscheidung wurde jedoch immer weiter aufgeschoben, da viele -insbesondere kleinere- Mitgliedstaaten fürchten, dadurch noch weniger Einfluss auf die EU zu haben.
- Die EU-Grundrechtecharta wird zwar nicht Bestandteil des Vertrages, aber dennoch rechtsverbindlich: Das war sie bisher nicht, da sie mit dem Vertrag von Nizza nur feierlich proklamiert wurde. Damit gibt es erstmals feste geschriebene EU-weit gültige bindende Grundrechte. Bisher musste dieses Feld vom Europäischen Gerichtshof ausgefüllt werden, denn Grundrechte waren nötig. Doch wo keine Grundrechte geschriebenen waren, musste der EuGH sie entwickeln. Diese Notwendigkeit besteht nun nicht mehr. Aufgabe des EuGH wird es daher zukünftig sein, die Einhaltung dieser Grundrechte zu überwachen und sie fortzuentwickeln.
- Einführung eines Bürgerbegehrens: Wenn 1 Million EU-Bürger unterschreiben, muss sich die Kommission dieses Themas annehmen. Damit hat das EU-Volk erstmals die Möglichkeit, selbst und direkt Einfluss auf das Rechtsetzungsgeschehen in der EU zu nehmen.
- Einführung von mehr Mehrheitsentscheidungen: Die Anzahl der Themenbereiche, in denen Neuregelungen nur bei Einstimmigkeit aller Mitgliedstaaten möglich sind, wird gesenkt. Dadurch wird die Entscheidungsfindung in diesen Bereichen deutlich erleichtert, das Rechtsetzungsverfahren effizienter und die Blockademöglichkeit einzelner Länder in diesen Bereichen beendet.
- Einführung eines „Hohen Vertreters der Europäischen Union für Außen- und Sicherheitspolitik“ (quasi Außenminister): Dieser soll helfen zu erreichen, dass Europa außenpolitisch öfter und deutlicher mit einer Stimme spricht. Inwieweit sich diese Hoffnungen bestätigen, wird sich jedoch zeigen müssen. Denn insbesondere in der Außenpolitik, als einem der sensibelsten Bereiche nationaler Politik, haben sich die Mitgliedstaaten bisher sehr eigen und uneinig gezeigt.
- Ebenfalls neu eingeführt wurde erstmals die schriftliche Niederlegung der Möglichkeit, dass ein Mitgliedstaat freiwillig (auch gegen den Willen anderer Mitgliedstaaten) aus der EU austreten kann. Bisher rankten sich um das Bestehen dieser Möglichkeit Streits der Rechtsgelehrten. Fakten und EuGH-Entscheidungen gab es dazu bisher nicht, da ein solcher Fall in der Praxis -glücklicherweise- nicht vorgekommen war. Dies hat sich mit dem Votum in Grossbritannien im Jahr 2016 leider geändert. In Kürze folgt ein Beitrag über diesen sogenannten Brexit.
ursprünglich in der Verfassung vorgesehen, jedoch mit dem Vertrag von Lissabon nicht beschlossen wurde:
- Neben vielem Anderen insbesondere nicht, dass die neuen Verträge Verfassung heißen.
- Dass die EU-Fahne und -Hymne darin schriftlich festgelegt sind. Sie werden jedoch beibehalten.
- Die Umbenennung der EU-Rechtsakte von Verordnung in „Europäisches Gesetz“ und von Richtlinie in „Europäische Verordnung“.